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cet obscur objet

Seit wir hier sind, fallen sie uns ins Auge. Sie kommen von links, kommen von rechts, bemächtigen sich unserer Aufmerksamkeit, hängen am Arm eines Typen oder wandeln allein, hochstöckelnd daher stolzierende Frauen in Riga). 

Sie staksen, schreiten,  schlendern schwankend oder zackig auf ihren hohen Schuhen. Manche sind ausnehmend schön. Sie lassen mich schmunzeln, den Kopf schütteln, bringen mich ins Grübeln, lettische Frauen, hoch zu Fuss.

Es ist nicht leicht, ein schon etwas schrumpeliger, angegrauter Mann zu sein, der nicht mal ihre Sprache versteht, kaum ein Wort. Trotzdem bin ich betört von der Wucht ihrer Reize.

Jung möchte ich nochmal sein und mir eine dieser Schönheiten anlachen, mit ihr durch diese fremden Strassen ziehen. Einmal nur.

Ich träume also und schaue ich ihnen zu, vorerst. Scheu fotografiere ich dann, ich gebe es zu, die eine oder andere. Heimlich zuerst, dann etwas ungenierter, frage ich für ein Bild oder ein Porträt.

Wirklich markant sind die Grossen unter ihnen. Ich spreche nicht von denen, die sich kleiner machen wollen,  Kopf einziehen, flache Schuhe tragen. Nein, ich meine die, welche selbstbewusst daher kommen und ihre Grösse zelebrieren, mit sich und ihrer Naturstatur  im Reinen.

Die grossen Frauen von Riga beschreiten eine eigene Liga. Sie, unantastbar gross, haben die Übersicht. Sie geniessen es, andere zu überragen.

Das beeindruckt mich. Ihnen zuzuschauen ist mir eine Freude. Kein plumper Gedanke.

Sie scheinen freundlich, offen und selbstverständlich. Viele scheinen es besonders zu geniessen es, mit ihren Absätzen noch höher übers Pflaster zu erheben.

Ich möchte ein Fotoprojekt der Grossfrauen machen; sie haben etwas erhoben – erhabenes. Ich  könnte etwas verstehen von dieser weiblichen Wucht, möchte einfach einer von diesen stolzen Frauen ein Bisschen nahe zu sein. …

Aus dem Reisenotizbuch (9/2011), überarbeitet im August 2021